Blaugrünes Leben: Die neue Emscher ist da
Feierlicher Festakt zum Abschluss des Emscher-Umbaus: Bundeskanzler Olaf Scholz pflanzt erste Rebe für neuen großen Weinberg an der Emscher – als Zeichen für den Aufbruch in ein neues Zeitalter im Ruhrgebiet
Castrop-Rauxel/Emscher-Gebiet. Ein blauer Fluss mit grünen Ufern ersetzt einen braunen Schmutzwasserlauf mit grauem Betonkorsett: Die seit Anfang des Jahres 2022 vollständig vom Abwasser befreite Emscher begeistert die Region und ihre Menschen. Bundeskanzler Olaf Scholz war am Donnerstag der prominenteste Ehrengast beim offiziellen Festakt zum Abschluss des Generationenprojektes Emscher-Umbau, dem größten europäischen Infrastrukturprojekt der vergangenen Jahrzehnte. Gemeinsam mit Prof. Dr. Uli Paetzel, Vorstandsvorsitzender der Emschergenossenschaft, und Ina Scharrenbach, Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung des Landes Nordrhein-Westfalen, pflanzte der Regierungschef im neuen Natur- und Wasser-Erlebnis-Park am Wasserkreuz in Castrop-Rauxel die erste Rebe für einen neuen Weinberg an der renaturierten Emscher. Weinanbau an den Ufern einer ehemaligen „Köttelbecke“ – ein starkes Symbol für das neue blaugrüne Leben im Revier!
„Das Generationenprojekt der Emscher-Renaturierung ist ein gutes Beispiel gelingender Transformation. Mit dem erfolgreichen Abschluss des Vorhabens entsteht ein leuchtendes Vorbild für ähnliche Prozesse weit über Deutschland hinaus“, sagt Bundeskanzler Olaf Scholz zur Umgestaltung der Emscher-Flusslandschaft.
Auch Ina Scharrenbach, Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung des Landes Nordrhein-Westfalen, gratuliert zur Fertigstellung des Emscher-Umbaus: „Die Emscher ist ein Fluss im Wandel und hat ihr Gesicht mehrfach verändert: Sie ist vom ursprünglich natürlichen Fließgewässer zum offenen Abwasserkanal in einer dicht besiedelten Industrielandschaft umfunktioniert worden. Nach über 170 Jahren ist die Emscher nun endlich wieder abwasserfrei, die Umwelt erholt sich und erstrahlt in neuer Blüte. Mit einer großen gemeinsamen Kraftanstrengung des Landes Nordrhein-Westfalen und des Bundes, der Städte und Gemeinden sowie der Emschergenossenschaft werden so heute wieder neue Stadt- und Freiraumqualitäten am Wasser sichtbar und schaffen neues Leben und viele Naturräume.“
Ganz bewusst hat sich die Emschergenossenschaft als Schauplatz ihres feierlichen Schlussaktes keinen Festsaal ausgesucht, sondern die blaugrüne Natur direkt am Fluss: Das sogenannte Emscherland am Wasserkreuz in Castrop-Rauxel ist in seiner Symbolik ein Mikrokosmos des gesamten Emscher-Umbaus – hier schlängelt sich die neue renaturierte Emscher kurvenreich in ihrem neu angelegten Flussbett, hier machen neugeschaffene Radwanderwege die neue blaugrüne Infrastruktur erfahrbar, hier bilden Pflanzbeete, Streuobstwiesen und künftig auch Weinberge den Auftakt für das neue blaugrüne Leben im Revier.
Infrastrukturen ermöglichen Wirtschaftswachstum und Wohlstand
Angesichts aktueller Krisen verdeutlicht der Emscher-Umbau die Bedeutung des Ausbaus von Infrastrukturen für die wirtschaftliche Entwicklung und für den Wohlstand einer Region. „Bereits die Gründung der Emschergenossenschaft 1899 als erster öffentlich-rechtlicher Wasserverband Deutschlands und der erste Emscher-Umbau zu Beginn des 20. Jahrhunderts ermöglichten den wirtschaftlichen Aufstieg des Ruhrgebietes“, sagt Prof. Dr. Uli Paetzel, Vorstandsvorsitzender der Emschergenossenschaft. Mit dem damaligen Ausbau der Emscher-Gewässer zu einem überflutungssicheren System von offenen Schmutzwasserläufen wurde vor über 120 Jahren die notwendige abwassertechnische Infrastruktur geschaffen, die letztlich das Wachstum der Industrieregion Ruhrgebiet überhaupt erst ermöglichte.
„Mit unserer nun erfolgreichen Befreiung der Emscher von ihrer Abwasserfracht haben wir im Herzen des Ruhrgebietes, Deutschlands größtem Ballungsraum, eine hochmoderne wasserwirtschaftliche Infrastruktur geschaffen. Sie ermöglicht nicht nur neues blaugrünes Leben in und an der Emscher, sondern hat in erster Linie als erheblicher Positivfaktor den Wirtschaftsstandort Ruhrgebiet gestärkt und einen Impuls von 13 Milliarden Euro ausgelöst, wie die TU Dortmund berechnet hat“, so Uli Paetzel. Über 5,5 Milliarden Euro investierte die Emschergenossenschaft in das größte europäische Infrastrukturprojekt und schloss es nun, wie geplant nach genau 30 Jahren, auch weitestgehend im Kostenrahmen ab – und das trotz drei Mehrwertsteuererhöhungen seit 1992, einer Währungsumstellung, einer Baupreissteigerung von mehr als 20 Prozent und vielen weiteren neuen behördlichen Anforderungen.
Transformation des Ruhrgebietes beginnt gerade erst
Der erfolgreiche Abschluss des Generationenprojektes bedeutet jedoch nicht das Ende der Transformation des Ruhrgebietes. Vielmehr beginnt diese gerade erst. Die Abwasser-Infrastruktur ist errichtet, neues blaugrünes Leben erobert die Emscher-Gewässer zurück. Am Horizont warten derweil aber zahlreiche weitere Herausforderungen, die durchaus mit den nun gelösten Abwasserproblemen in der Emscher-Zone vergleichbar sind: die Energiewende, die Verkehrswende mit einem zukunftsfähigen ÖPNV als Basis für das Erreichen einer Klimaneutralität sowie die Anpassung der Region an die Folgen des Klimawandels.
Gleichwohl muss die Region attraktiver und lebenswerter gestaltet werden. Aus diesem Grund entwickelte die Emschergenossenschaft bereits während des laufenden Emscher-Umbaus gemeinsam und partnerschaftlich mit ihren Mitgliedern das zunächst rein wasserwirtschaftliche Vorhaben zu einem Leuchtturmprojekt mit starkem städtebaulichem Einfluss. „Erfolgreich auf den Weg gebracht haben wir in den jüngsten Jahren die Klimaanpassung im Ruhrgebiet mit dem Ruhrkonferenz-Projekt „Klimaresiliente Region mit internationaler Strahlkraft“ und der Zukunftsinitiative Klima.Werk“, so Uli Paetzel.
Gut für die Zukunft aufgestellt
Als Infrastruktur-Dienstleister, so versteht sich die öffentlich-rechtliche Emschergenossenschaft, sieht sich Deutschlands größter Abwasserentsorger und Betreiber von Kläranlagen und Pumpwerken für die Zukunft gut aufgestellt. Ähnlich wie bei ihrer Gründung 1899 und nach ihrem Beschluss des Emscher-Umbaus 1991 hat sich der Verband in den vergangenen Jahren bereits unter dem Motto „Horizont 2030“ von innen erneuert und modernisiert, um den anstehenden Herausforderungen weiterhin kompetent begegnen zu können. „Als zuverlässiger Partner unserer Mitglieder wollen wir gemeinsam mit ihnen und den Menschen im Ruhrgebiet die zukunftssichere und lebenswerte Entwicklung unserer Heimatregion gestalten“, sagt Uli Paetzel.
Der Eisvogel kehrt an die Emscher zurück
Um die Emscher vom Abwasser zu befreien, baute die Emschergenossenschaft in den vergangenen drei Jahrzehnten vier moderne Großkläranlagen in Dortmund, Bottrop, Dinslaken und Duisburg und verlegte mehr als 430 Kilometer an neuen unterirdischen Abwasserkanälen. Durch diese Kanäle werden nun die Hinterlassenschaften der Region zu den Kläranlagen transportiert. „Die neue abwassertechnische Hauptschlagader des Ruhrgebietes ist seit fast genau einem Jahr der Abwasserkanal Emscher (AKE). Der 51 Kilometer lange Sammler führt von Dortmund bis Dinslaken – und das in Tiefenlagen von bis zu 40 Metern. Als Herzstücke verteilen unsere drei Großpumpwerke in Gelsenkirchen, Bottrop und Oberhausen das Abwasser auf die Kläranlagen“, sagt Dr. Emanuel Grün, Technischer Vorstand der Emschergenossenschaft. Das Pumpwerk Oberhausen ist Deutschlands größtes Schmutzwasserpumpwerk: Es kann 16.500 Liter befördern – pro Sekunde!
Abwasserfrei ist die Emscher seit dem Jahreswechsel 2021/2022. Parallel zum Kanalbau wurden aber bereits in den vergangenen Jahren mehr als 150 Kilometer an Flusslandschaften entlang der Emscher und ihrer Nebenläufe revitalisiert: Das Betonkorsett wurde entfernt, die Böschungen wurden flacher und vielseitiger gestaltet. Dort, wo der Platz es zuließ, erhielten die früher künstlich begradigten Gewässer wieder einen kurvenreicheren Verlauf. Das Ergebnis des Engagements kann sich mehr als sehen lassen: Das blaugrüne Leben in Form von Groppen, Forellen und Stichlingen kehrt an und in die Emscher zurück. An ihren Ufern wurde nicht nur die seltene Gebirgsstelze gesichtet, sondern auch bereits die Blauflügelige Prachtlibelle.
Vor 30 Jahren, als die Emschergenossenschaft die visionäre Renaturierung der Emscher ankündigte, zeigte man den Kolleginnen und Kollegen noch den Vogel – und heute brütet der Eisvogel als Indikator für eine gute Gewässerökologie wieder am Ufer des zentralen Flusses des Ruhrgebietes. Der Emscher-Umbau ist abgeschlossen, das neue blaugrüne Leben beginnt nun!